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Infobrief


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Bemerkens-
wertes zur Barrierefreien Informations-
technik

bit.infobrief Nr. 7 vom 08.10.2004

Liebe Kollegen,

in diesem Herbst verarbeiten wir den ersten öffentlichen Streit über Barrierefreies Internet.


1. Barrierefrei zu teuer?

Nordrhein-Westfalen hat im Juli als eines der ersten Bundesländer eine Verordnung zur Barrierefreien Informationstechnik erlassen. Die Landesbehörden und auch die Städte und Gemeinden in NRW müssen jetzt in ihren Internetauftritten die Regeln der BITV einhalten. Bis Ende 2008 haben sie Zeit für die Umgestaltung.

Für die Gemeinden sei das zu teuer, sie könnten jetzt ihre Internetangebote nicht mehr im gewohnten Umfang unterhalten. Mit dieser Warnung löste der Städte- und Gemeindebund NRW ein enormes Presseecho aus. Den ganzen Sommer über berichteten Zeitungsartikel und Radiosendungen über Behinderte, das Recht auf ungehinderten Informationszugang und über barrierefreies Internet, und dies mit einer erfreulichen Präzision und Einsicht. Der Fehdehandschuh fordert uns offenbar besser zum genauen Hinschauen auf als die üblichen politisch korrekten Sonntagsreden.

Auch die Barrierefrei-Experten wurden jetzt genauer. Die Behindertenverbände stellten in ihrer energischen Replik die wirtschaftlichen Vorteile von barrierefreiem Webdesign heraus: Zwar entstünden anfangs Mehrkosten für die sorgfältigere Ausarbeitung von standardkonformen Websites, doch würde sich diese Investition mittelfristig durch vielfältige Einsparungen bei den Unterhaltskosten amortisieren. Aber was bisher als Gemeinplatz gegolten hatte, wurde auf der Mailingliste W3C-WAI-DE nicht mehr unhinterfragt akzeptiert. Ob die bekannte Erfolgsstory des Stern denn auch in anderen Fällen nachweisbar sei? Oder ob die Vorzüge nicht eher ideeller Natur seien - bessere Verständlichkeit, höherer Wirkungsgrad, größere Reichweite - und der finanzielle Effekt gar nicht direkt zurechenbar? Oder ob man gar für den hohen bürger- und menschenrechtlichen Wert ein Opfer bringen müsse? Wir dürfen gespannt sein auf die betriebs- und volkswirtschaftlichen Analysen über Aufwand und Nutzen von barrierefreiem Internet, die jetzt in Arbeit sind.

In Hamburg wird hoffentlich nicht so gemauert wie in NRW. Im Hinblick auf das kommende Hamburgische Landesgleichstellungsgesetz hat das BIK-Projekt im August ein Netzwerk für Barrierefreie Informationstechnik ins Leben gerufen, an dem die Hauptakteure der städtischen Websites, Bildung, Wirtschaft und Verbände und auch Multiplikatoren wie NDR und Stern teilnehmen. Ziel ist u.a., der Öffentlichkeit ein positives Bild von Barrierefreiheit zu vermitteln.

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2. Blindengeld unsozial?

Das Blindengeld bekommen bisher alle Blinden, und finanzieren damit den Mehraufwand, der ihnen aufgrund ihrer Behinderung für technische Hilfen und persönliche Assistenz im Privatleben entsteht. Niedersachsen will nun ab 2005 seine Ausgaben für das Blindengeld auf die Hälfte kürzen und zugleich ein neues Zuteilungsverfahren einführen. Anstelle der bisherigen Kopfpauschale - alle bekommen denselben Betrag - soll der Anspruch auf Blindengeld demnächst in einer Bedarfsprüfung festgestellt werden, analog zur Sozialhilfe.

Die Blindenverbände protestieren bundesweit und mit allen Mitteln einer modernen Bürgerrechtsbewegung. Am 11. September kam eine Sternfahrt aus ganz Deutschland in Hannover zusammen und belebte das Stadtbild mit 10.000 gelben Mützen und weißen Stöcken. Meinungsbildung und Organisation sind ganz wesentlich über Email und Internet gelaufen. Ein schöner Beweis, dass barrierefreie Informationstechnik zur gesellschaftlichen Integration beiträgt.

Wir wünschen den Blinden weiter so guten Erfolg!

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3. Jobs ohne Barrieren

"Jobs ohne Barrieren" heißt eine neue Initiative des BMGS Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, die der wachsenden Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten entgegenwirken will. Dazu gehört auch ein finanzielles Förderprogramm für Arbeitgeber.

Die Probleme Behinderter am Arbeitsplatz könnten überwiegend technisch gelöst werden, und meist auch kostenneutral. So steht es in der Pressemeldung. Hmmm, denkt der Praktiker. Technisch lösen ja, mit gutem Willen und viel Know-How. Aber kostenneutral? Nur wenn schon eine barrierefreie Infrastruktur vorhanden ist. Wir sind gespannt auf die guten Beispiele, die das Programm hervorbringen wird.

Arbeitsplätze für Behinderte in der Internet-Branche gibt es bisher wenige, und dann sind es Integrationsbetriebe, wie z.B. dycomedia in Hessen. Abhilfe könnte durch barrierefreie Redaktionssysteme geschaffen werden, die nicht nur den Output barrierefrei ausliefern, sondern auch von behinderten Redakteuren mit Inhalt gefüllt werden können. Das erste bekannt gewordene System dieser Art ist soundsites, mit dem der DVBS Deutscher Verein für Blinde und Sehbehinderte in Studium und Beruf seine Internetseiten produziert.

Von den großen CMS Content-Management-Systemen hört man nichts über barrierefreies Backend. Papoo, soeben fertig gewordenes Open-Source-CMS, sollte anfangs eine barrierefreie Radaktionsumgebung bekommen, doch wurde dieses Ziel in die zweite Entwicklungsphase verschoben. Immerhin haben sie sich Mühe gegeben, die Barrieren im Backend gering zu halten.

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4. Die Karawane zieht weiter

Während es mit der Breitenwirkung von Barrierefreiheit ganz langsam vorangeht, häufen sich zugleich die Meldungen über Forschungsvorhaben, die die Grenze des Machbaren weiter ausdehnen wollen.

  • "Virtual Guido" heißt der Gebärden-Avatar, der in Kürze Hamburger Gehörlosen die Vorbereitung auf Behördengänge erleichtern will. Der künstliche Gebärdensprachdolmetscher hat jetzt eine feinere Mimik, so dass bereits 5 von 6 Testpersonen ohne besonderes Üben auch relativ komplexe Sachverhalte verstehen. Das Übersetzungsverfahren ist, entgegen den Befürchtungen des Gehörlosenverbands (siehe bit.infobrief Nr. 5), nicht automatisch. Basis ist eine Gebärdendatenbank, die einem menschlichen Übersetzer als Arbeitsmittel dient. Wenn also demnächst Hamburger Behördeninformationen in virtuellen Gebärden publiziert werden, hat damit ein (ggf. behinderter) Gebärdenredakteur einen Arbeitsplatz gefunden.
    http://makeashorterlink.com/?A6CE11979 (stern.de)
  • BenToWeb Benchmarking Tools and Methods for the Web heißt ein EU-Projekt zur Entwicklung neuer automatischer Testverfahren für die BITV-Checkpunkte. Hiermit sollen auch Merkmale wie konsistente Navigation und einfache Sprache getestet werden können, die bisher dem Urteil eines qualifizierten menschlichen Prüfers vorbehalten sind. Die Mitglieder des Projektkonsortiums sind bekannt für Grundlagenforschung an menschlicher Wahrnehmung und Sprache. Das deutet auf eine längere Durststrecke hin. Für die Testpraxis müssen wir also noch nicht mit sofortigen Konsequenzen rechnen.
    http://makeashorterlink.com/?D67F26979 (innovations-report.de)
  • Elektronische Fahrgastinformationen im öffentlichen Nahverkehr sollen für Blinde und Sehbehinderte zugänglich gemacht werden. Vielversprechend sind Feldstudien in Linz und in Helsinki, die in diesen Tagen abgeschlossen werden.
    http://derstandard.at/?url=/?id=1695990
    http://makeashorterlink.com/?O57123A79 (linzag.at)
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5. Ankündigungen

  • "Barrierefreies Webdesign", das neue Praxishandbuch zur BITV von Jan Hellbusch und 15 weiteren Autoren, erscheint Ende Oktober im dpunkt-Verlag. Das Buch bietet eine Fülle von illustrierten Gestaltungs- und Programmierbeispielen sowie Arbeitshilfen zur Überprüfung der gesetzlichen Richtlinien. Auch Flash, PDF und Windowsprogramme werden behandelt. Angesprochen sind in erster Linie Webgestalter, Informatiker und Designer, aber auch Redakteure und andere IT-Verantwortliche. Das Buch soll auch in elektronischer Form verfügbar sein, als PDF und später auch im DAISY-Format.
    http://bf-w.de/dpunkt/
  • "Barrierefreies E-Government - auch sicher?" heißt ein Tagesseminar am 14. Oktober beim Zentrum für graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. Neben Grundlagen zum barrierefreien Webdesign gibt es mehrere Vorträge über Sicherheit und elektronische Signaturen.
    http://makeashorterlink.com/?S4F424A79 (zgdv.de)
  • "Barrieren am Bildschirm" heißt eine Tagung der Fachhochschule Kiel am 28. Oktober mit Messe und Kongress. Interessant ein Vortrag von Microsoft über die Verantwortung des Software-Herstellers für die Barrierefreiheit.
    http://www.sh-barrierefrei.de/
  • Die Boltenhagener Tage für akustische Medien finden vom 28.-31. Oktober mit den Schwerpunkten Hörspiel und Hörbuch statt.
    http://www.klangkontext.de/boltenhagen/medientage.html
  • Der BIENE-Award kürt am 3. Dezember in Berlin die Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs um die besten barrierefreien Internetauftritte im deutschsprachigen Raum. BIT und der Botanische Garten München stellen sich der Herausforderung.
    http://www.biene-award.de/award/index.html
    http://www.botanik.biologie.uni-muenchen.de/botgart

Soviel für heute.

Ich wünsche Ihnen allen einen wunderbar ertragreichen Herbst.

Brigitte Bornemann-Jeske

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