Open Access = Accessibility?

Schon über ein Jahr geistert die Novelle zum Urheberrecht durch die Medien und bringt immer noch neue Stellungnahmen von Interessenverbänden hervor. Zwischen Kopierschutz und GEMA-Gebühren blitzt auch gelegentlich das Stichwort Open Access auf. Freier, unentgeltlicher Zugang zu Informationen - den einen ist er der Inbegriff der Aufklärung, den anderen das Ende der Kultur des Abendlands. Die Befürworter bringen sogar die Barrierefreiheit mit ins Spiel, und da werden wir hellhörig. Was hat Open Access mit Accessibility zu tun?

Es gibt kein Recht auf unentgeltliche Nutzung geistigen Eigentums, wohl aber ein Recht der Eigentümer, ihr Werk unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Ein Interesse daran haben tatsächlich die wissenschaftlichen Autoren. Damit stellen sie sich gegen die Verlage, die wissenschaftliche Fachzeitschriften zu solch hohen Preisen vertreiben, dass nur wenige Bibliotheken ihre Bestände noch aktuell halten können.

In der wissenschaftlichen Gemeinde ist eine publizistische Revolution im Gange. Unis und Forschungsinstitute gehen dazu über, ihre Arbeiten selbst zu veröffentlichen - umsonst, elektronisch, im Internet. Die Verlage lenken ein und bieten gelockerte Wiederverwertungsrechte an, so dass die Autoren ihre Publikationen nach einer Sperrfrist in öffentlich zugängliche elektronische Archive einstellen dürfen. Dies sind die beiden Modelle der Open-Access-Bewegung: Selbstverlag oder öffentliche Archive, beides im Internet und in Verantwortung der Universitäten.

Was hat das mit Barrierefreiheit zu tun? Nun, die Befürworter des Selbstverlags nehmen diese Auszeichnung für sich in Anspruch, sie nennen ihr Modell den “goldenen Weg” und die Barrierefreiheit als eines seiner Merkmale. Bei genauerem Hinsehen merkt man, dass da ein Missverständnis vorliegen muss. Sie meinen “ungehindert kostenfrei herunterladen”, und das hat mit Barrierefreiheit höchstens den sozialen Touch gemeinsam. “Barrierefrei” bezieht sich auf die inneren Qualitäten eines elektronischen Dokuments: ein standardisiertes Format mit strukturiertem Content, das mit jedem Anzeigegerät gelesen und von jedem Nutzer einfach erschlossen werden kann. Das wäre barrierefreies Publizieren, aber davon ist in der aktuellen Open-Access-Diskussion gar nicht die Rede.

Ist denn noch mehr dran an dem Thema? Was hat barrierefrei mit kostenfrei zu tun? Ist es denkbar, dass es die Barrierefreiheit fördert, wenn die Universitäten ihre Forschungsergebnisse selbst und kostenfrei veröffentlichen?

Theoretisch ist der Zusammenhang von Open Access und Accessibility klar: Wenn die Unis nicht an Käufern interessiert sind, sondern an möglichst vielen Lesern ihrer Werke, dann werden sie auch für möglichst einfache Nutzung sorgen. Als öffentliche Einrichtungen sind sie sogar, je nach der Gesetzeslage in ihrem Bundesland, zur Barrierefreiheit verpflichtet. Die Unis haben aber anscheinend noch gar nicht gemerkt, welche Anforderungen da auf sie zukommen. Kenner der Szene klagen über ein mangelndes technisches Qualitätsbewusstsein der Selbstverlage, und über eine viel zu knapp bemessene finanzielle Ausstattung. In der fröhlichen Aufbruchstimmung werden wohl viele Fragen erstmal hinten angestellt. Ob man die Open-Access-Verlage wohl fragen darf, ob sie sich barrierefreies PDF als reguläres Dokumentformat vorstellen können?

Bei den etablierten Verlagen kommt erst gar nicht der Gedanke an barrierefreies Publizieren auf. Da bekommt man als Autor, nachdem man ein wohl strukturiertes Word-Dokument eingereicht hat, ein völlig unzugängliches PDF aus der Druckvorstufe zurück, das man dann als Zweitverwertung online stellen darf. Die PDFs zum IWP-Heft “Barrierefreiheit im Internet” werden nicht einmal in Google gelistet, so unzugänglich sind sie. Dabei könnte alles so schön sein. In der XML-basierten Produktionskette der großen Verlage wäre barrierefreies Publizieren gar kein so großer Schritt. Auf EU-Ebene gibt es eine Arbeitsgruppe über die Entwicklung entsprechender Standards, und die Blindenbibliotheken könnten einiges an Know-How beisteuern.

Die Urheberrechtsdebatte bringt aber leider eher finstere Assoziationen in Spiel. Da geht es um Kopierschutz und analoge Formate - je unzugänglicher, desto einfacher ist die Kontrolle der Verbreitung. Dann kann man von den Bibliotheken GEMA- und Lizenzgebühren einfordern, wenn sie digitale Medien ausleihen oder gedruckte Werke fotokopieren. Das hört sich mittelalterlich an. Man kann nur hoffen, dass die Verlage noch andere Geschäftsmodelle finden, und uns nicht den (barriere)freien Zugang zu Informationen völlig verbauen.

Referenzen

Eine Reaktion zu “Open Access = Accessibility?”

  1. ioverka

    Liebe Frau Bornemann,

    vielen Dank für diesen Beitrag, den ich mit grossem Interesse gelesen habe. Ãœbrigens meint der “Goldene Weg” nicht die Veröffentlichung in einem Selbstverlag, sondern die Publikation in einer Open-Access-Zeitschrift, die außerdem natürlich diverse Anforderungen bzgl. wissenschaftlicher Qualität und Zugänglichkeit erfüllen muss.

    Ich würde jetzt ja gerne mal versuchen, die PDFs eines OA-Verlages meiner Wahl auf Barrierefreiheit zu prüfen. Können Sie dafür ein Tool empfehlen?

    Beste Grüße,
    inga overkamp

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