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Bemerkens-
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bit.infobrief Nr. 15 vom 09.11.2006

Liebe Kollegen,

in diesem Herbst haben wir alle Hände voll zu tun mit den teils spektakulären, jedenfalls aber langfristig wirkenden Ereignissen des vergangenen Sommers.


1. DIN geprüft: Barrierefreie Website

Dies ist der korrekte Name des Zertifikats, das in Deutschland seit Mitte August 2006 erworben werden kann - und gar nicht mal so teuer. Der Einstiegspreis wäre so bei 4.000 Euro für eine wenig komplexe Website. Für weitere 1.000 Euro kann man eingebundene Gebärdensprach-Videos prüfen lassen. Diese Vorkalkulation wurde beim AbI-Gesamttreffen am 19. Oktober auf der RehaCare in Düsseldorf bekannt gegeben.

Dass man für sein Geld auch Qualität bekommt, scheint nun gesichert zu sein. Das Prüfverfahren ist offengelegt, es basiert im wesentlichen auf dem sehr detailliert dokumentierten BITV-Test des BIK-Projekts. Die Prüfung der Verständlichkeit richtet sich nach dem BIENE-Testverfahren. Neu ist eine Prüfung der Nachhaltigkeit, die sich auf die Qualifikation und den Workflow im Redaktionsteam bezieht und sicherstellen soll, dass die Qualität des Webangebots auch nach dem Prüftermin erhalten bleibt. Regelmäßige Nachprüfungen sind ebenfalls vorgeschrieben.

Aufgegeben wurde der Plan, komplette Websites mit tausenden von Seiten zu prüfen. Ähnlich wie im BIK-Test gibt es eine Auswahl typischer Seiten und zwei unabhängige Tester, die bei abweichenden Bewertungen eine Lösung finden müssen. Nur so kann eine eingehende qualitative Prüfung bezahlbar gemacht werden.

Anscheinend ist es AbI gelungen, in der heiß umstrittenen Zertifikatfrage die Kuh vom Eis zu holen. Die versammelte Fachkompetenz der AbI-Unterstützer zeigte sich zufrieden, Widerspruch, der im letzten Jahr die Diskussion beherrscht hatte, kam nicht mehr auf. Im Gegenteil: auch kleine Internetagenturen bewerben sich jetzt darum, als Prüfstelle für das Zertifikat zugelassen zu werden. Das wird aber noch dauern.

Das Zertifikat wird von DIN CERTCO erteilt, als Prüfstellen sind die AbI-Partner vorgesehen. Die wollen erstmal die neuen organisatorischen Abläufe einüben und dann darüber befinden, ob der Kreis der Prüfstellen auf die AbI-Unterstützer ausgeweitet werden kann. Anscheinend ist auch noch gar kein Kuchen zum Verteilen da. Die Nachfrage kommt nur schleppend in Gang, man wird wohl richtig Werbung machen müssen.

Ist das Zertifikat vielleicht doch nicht so wichtig, wie die Behörden immer gesagt haben? - Auch wenn es gut geworden ist und nicht ein Billig- oder Pseudo-Zertifikat, wie zuvor befürchtet, so bleibt ein Argument der Zertifikat-Gegner doch bestehen: Das Geld ist bei den Entwicklern besser angelegt als bei den Testern. Am Ende geht es um den Know-How-Transfer in die eigene Organisation, und da hat ein externer Test ziemlich hohe Reibungsverluste. ... Obwohl, wenn ich so nachdenke über die Organisationsstrukturen in Behörden, die gute Ansätze immer wieder im Sande verlaufen lassen, ... dann wünsche ich mir, dass das Zertifikat zur Auflage gemacht wird.

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2. Barrierefreies PDF - Schluss mit Quick & Dirty

Es geht so einfach: in der Textverarbeitung auf den PDF-Knopf drücken, und schon ist mein Werk fertig und kann der Welt gezeigt werden. Auf jedem Bildschirm und Drucker kommt mein Prospekt, mein Aufsatz, meine Preisliste genau so heraus, wie ich es gestaltet habe. Es kostet nicht mal viel, denn PDF-Konverter gibt es als Shareware wie Sand am Meer. Nun noch das PDF auf die Website stellen, ...

Stopp, hier hört der Spaß auf. PDFs sind nicht barrierefrei, schon vergessen? Was Du für Freiheit der Information hältst, nennen andere Faulheit und Gedankenlosigkeit. Wer sich im Internet äußern will, tut das bitte in HTML und CSS.

Das BIK-Projekt hat uns unsanft aus unseren Träumen gerissen. Im Juni wurde der Prüfschritt 11.1.1 des BITV-Tests "Angemessene Formate" neu formuliert und für die Anwendung im Test freigegeben. Jetzt gilt die Regel: PDFs, die auf der Website zum Download stehen, müssen entweder barrierefrei sein oder mit einem HTML-Äquivalent ergänzt werden. Seither fällt der BIK-Test der Woche regelmäßig um drei Punkte niedriger aus. Denn niemand im real existierenden Internet - jenseits der Modellprojekte - kann aktuell den PDF-Prüfschritt erfüllen.

Barrierefreies PDF? Das ist doch sowas mit Tags, oder? Das machen doch Spezialdienstleister für Blinde und Sehbehinderte, sowas wie Brailledruckereien oder so? Zahlt das eigentlich das Integrationsamt? - Falsch gedacht. Das war vielleicht mal früher.

Heute kann jeder barrierefreie PDFs erzeugen, indem man einfach seine Office-Dokumente strukturiert gestaltet, also in Word z.B. die Formatvorlagen für Überschriften verwendet. Wenn man dann auf den PDF-Knopf drückt, bekommt man automatisch ein barrierefreies PDF-Dokument mit Tags für Überschriften. - Stopp, schon wieder geträumt. Das stimmt nur im Prinzip. Praktisch geht es nur, wenn hinter dem PDF-Knopf die Acrobat Professional Software steckt, Listenpreis 560 Euro. Alle anderen Tools, die im Gespräch waren, haben bei genauerem Hinsehen versagt. Der Acrobat ist zwar auch nicht viel besser, was die automatische Konvertierung angeht. Aber hier kann man wenigstens die Tags manuell nachbearbeiten. Es gibt auch schon Schulungen dafür, Umfang zwei Tage.

Was soll man dazu sagen? Geht doch? - Naja. Ich persönlich kann mich nicht damit anfreunden, dass hier eine proprietäre Software vorausgesetzt wird. Das widerspricht eigentlich meinem Verständnis von Barrierefreiheit. Barrierefrei sind ja nicht Lösungen für Blinde, sondern Lösungen auf der Basis offener Standards, die vielfältig transformierbar sind und allen nützen, auch den Blinden. Ob das PDF-Format ein vollgültiger offener Standard ist, kann man bezweifeln. PDF ist zwar in Teilen als ISO-Standard anerkannt, aber Adobe behält dennoch ein Copyright auf den inneren Kern des Formats. Die Tags scheinen nicht zum offenen Teil zu gehören - jedenfalls gibt es noch keine Open-Source-Software, die die Tags in PDF-Dokumenten anzeigen und bearbeiten kann.

Ich persönlich mache barrierefreie PDFs erst dann, wenn das mit der automatischen Konvertierung aus strukturierten Office-Dokumenten klappt. Genauer: erst wenn der Adobe-Online-Dienst das kann, der im Moment noch gar keine Tags berücksichtigt.

Post Scriptum: Nachdem meine Linie klar ist, reiche ich wieder eine Website für die 95plus-Liste ein. 95plus ist die Referenzliste des BIK-Projekts für Agenturen, die die BITV umsetzen können. Überraschung: kein Punktabzug für Prüfschritt 11.1.1. Er gilt einfach noch nicht für die 95plus-Liste. Hätte ich mich gar nicht so aufregen müssen.

Post Scriptum 2: Gestern meldet BIK das erste positive Testergebnis im Punkt 11.1.1: die Deutsche Rentenversicherung hat einzelne PDFs barrierefrei gemacht und mit einem Icon ausgezeichnet. Damit war BIK schon zufrieden. Na sowas.

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3. Anti-Diskriminierung

Ein Thema ist erstmal abgehakt: das Zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz trat im August in Kraft, und bringt nichts Neues für die Barrierefreie Informationstechnik. Begraben wir die Hoffnung, bald könnte man Aldi verklagen, wenn es seine Preislisten im Internet nicht barrierefrei macht und also Blinde von der Nutzung der Sonderangebote ausschließt. Sowas gibt es nur in USA und in Österreich.

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4. Termine

  • 14. November 2006: World Usability Day mit Aktionen in 11 deutschen Städten. Dabei viel zum Thema Barrierefreiheit.
    http://www.worldusabilityday.de/
  • 29. November 2006: "Barrierefreies Internet" - Veranstaltung der Handelskammer Hamburg in Kooperation mit dem HNBI Hamburger Netzwerk für Barrierefreie Informationstechnik.
    http://snipurl.com/11wi8 (Anmeldeformular, PDF)
  • 5. Dezember 2006: "Cobra", der neue Screen-Reader der Firmengruppe Baum und Audiodata für Windows Vista. Präsentation im Louis-Braille-Center, Hamburg.
    http://www.bsvh.org/index.php/bsvh/termine
  • 20. Dezember 2006: "Barrierefreiheit im Internet" - Vortrag von Brigitte Bornemann-Jeske im Studiengang "Disability Studies" der Universität Hamburg. Zeit: 12:00 - 14:00 Uhr.
    http://www.zedis.uni-hamburg.de/

Soviel für heute.

Ich wünsche Ihnen etwas Novembersonne, und freue mich, Sie bei einem der Termine dieses Herbstes zu treffen.

Brigitte Bornemann-Jeske

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